Das Merkel-Rettungsgesetz

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Das Merkel-Rettungsgesetz

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Veröffentlicht von hwk in Publico · 26 Oktober 2018
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Mit Geschraube am Stickoxid-Grenzwert will die  CDU-Chefin die Dieselfahrer vor der Wahl in Hessen beruhigen. Der  Diesel ist nicht das Problem.
Noch nicht einmal Grenzwerte. Sondern die  politisch-mediale Irrationalität

Die „Süddeutsche“ muss auf die Seite der  dunklen Macht gewechselt sein. Am 23. Oktober erschien dort ein  Kommentar von Innenpolitik-Chef Heribert Prantl mit der Überschrift: „Giftige Merkel“. Weiter heißt es bei Prantl: „Was Angela Merkel plant, kann man als gemeingefährliche Vergiftung bezeichnen.“
Grundsatzkritik an der Kanzlerin ist in einem großen Teil der Medien sehr rar geworden.
Erst Recht in diesem Duktus, der sonst üblicherweise in die Massenrubrik Hass & Hetze fällt. Worum ging es?

Prantl  hält der Kanzlerin gemeingefährliche Vergiftung vor, weil sie – im  Lichte der miserablen Wahlprognosen für Hessen – allen Ernstes plant,  den Grenzwert für Stickstoffoxide im Straßenverkehr etwas höher als 40  Mikrogramm pro Kubikmeter Luft anzusetzen, um Dieselfahrverbote in  Städten zu vermeiden. Nach ihren Plänen soll in Zukunft auch eine  Überschreitung dieser 40 Mikrogramm um 25 Prozent im Jahresmittel noch  zulässig sein.
In die gleichen Ausgabe der „Süddeutschen“ rückte die Redaktion ein vermeintliches Erklärstück unter der Überschrift „Die magischen 40“, um ihren Lesern die gemeingefährliche Vergiftung deutlich zu machen. „Die magische Zahl lautet 40“, schreibt das Münchner Blatt. „Gemeint  ist der Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid: überschreitet das  giftige Gas im Durchschnitt der Messungen eine Konzentration von 40  Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, dann wird es kritisch – für die  Gesundheit und für die Fahrer von Dieselautos.“

Die  Behauptung ist – was die Gesundheit angeht – reine Fake News. Bis heute  existiert kein Beleg dafür, dass eine Stickoxidkonzentration über 40  Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft zu messbaren Gesundheitsschäden  führt. Wie auch? Der Grenzwert für die Stickstoffoxidkonzentration an  gewerblichen Arbeitsplätzen liegt in Deutschland und der gesamten EU bei  950 Mikrogramm „maximaler Arbeitsplatzkonzentration“ (MAK). Wäre die Erhöhung des Toleranzbereichs im Straßenverkehr auf 50 Mikrogramm tatsächlich „gemeingefährliche Vergiftung“,  dann liefen die fast zwanzigmal höheren Limits für Büros und Werkhallen  folglich auf permanenten Massenmord hinaus. Selbst in Büros lassen die „Technischen Regeln für Arbeitsstätten“  der Bundesanstalt bis zu 60 Mikrogramm je Kubikmeter Luft zu. Die  Grenze zur messbaren Gesundheitsschädigung liegt noch deutlich höher als  950 Mikrogramm Stickstoffoxid. In der Vergangenheit richtete sich auch  die Politik der Bundesregierung danach aus. So heißt es etwa im Bundesgesundheitsblatt 1/98 von 1998:

„Bei  kontrollierten klinischen Studien an Gesunden werden Konzentrationen  über 1 ppm (I880 Mikrogramm/m3) benötigt, um bei kurzfristiger  Exposition (zwischen zehn Minuten und zwei Stunden) bei gesunden  Probanden messbare Veränderungen von Lungenfunktionsparametern  hervorzurufen.“

Nun könnte jemand einwenden: das war der  Wissensstand vor 20 Jahren. Aber es gilt nach wie vor – für einen  Zusammenhang von mäßiger Stickstoffoxidbelastung noch über dem Richtwert  für Büros und Gesundheitsschäden gibt es keinen seriösen Nachweis. An  der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen führte der  Toxikologe Thomas Kraus 2013 entsprechende Versuche mit entsprechenden  Probanden durch; er veröffentlichte die Ergebnisse 2016. Als der so  genannte Diesel-Skandal ins Rollen kam, überschlugen sich etliche  Medien: Geheime Menschenversuche, Abgastests an Menschen, unethisch! Für  viele Journalisten war es offenbar tatsächlich eine Neuigkeit, dass  toxikologische Versuche an aufgeklärten Probanden etwas völlig Übliches  sind, genau so wie die Erprobung von Medikamenten an Menschen. Die  klinische Erprobung von Arzneimitteln an Menschen – an wem auch sonst? –  ist sogar gesetzlich vorgeschrieben. Der Versuch in Aachen war auch  weder geheim noch ethisch problematisch – er war ordnungsgemäß von der  Ethikkommission der Hochschule geprüft und genehmigt worden. Trotzdem  behauptete der Sprecher der Tagesschau vom 29. Januar 2018 mit hochbesorgter Miene, es habe sich ja wohl um eine „menschenverachtende Studie“  gehandelt. Selbst der zugeschaltete ARD-Redakteur Werner Eckert, eine  Art öffentlich-rechtliche grüne Hochinstanz, erklärte dann zwar, mit dem  Experiment sei alles in Ordnung gewesen. Aber „menschenverachtend“ – das Klingelwort hatte sich bei den Zuschauern schon festgesetzt. Der notorische ARD-„Faktenfinder“ Patrick Gensing fabulierte, die von der Autoindustrie organisierte “Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor” (EUGT) habe den Versuch in Aachen „durchgeführt“.  In Wirklichkeit war das Studiendesign von Kraus und dessen Kollegen  entworfen worden – erst dann hatte die EUGT sich entschieden, die Studie  zu finanzieren.

Nur ganz am Rande erfuhren die Qualitätsmediennutzer etwas über das Ergebnis  des Versuchs in Aachen: Auch bei einer Belastung mit deutlich mehr als  60 Mikrogramm Stickstoffoxid pro Kubikmeter Luft zeigten sich bei den  Probanden keine erhöhten Entzündungsreaktionen, geschweige denn  dauerhafte Gesundheitsschäden.
Umgekehrt existiert bis heute kein  einziger Test, der das Gegenteil belegen würde. Zurück zu Merkel: Sie  wusste und weiß offenbar sehr gut, dass der EU-Grenzwert von 40  Mikrogramm für Straßenverkehr völlig absurd ist. Warum er trotzdem in  Kraft treten konnte, wieso die Bundesregierung dagegen nichts unternahm,  welche Rolle dabei der Abmahnverein “Deutsche Umwelthilfe” spielt, der  wiederum Geld von Toyota (und vom deutschen Steuerzahler)  erhält – das sollte das Thema eines Bundestags-Untersuchungsausschusses  werden. Bisher tat Merkel nichts gegen einen Grenzwert, dessen  praktische Auswirkung die deutsche Dieseltechnik erdrosselt. Aber erst  jetzt, ein Wahldesaster in Hessen vor Augen, versucht sie ein  bemerkenswertes Manöver. Sie zwinkert den Medien und den Dieselfahrern  zu und meint: Kommt, wir wissen doch, dass der Grenzwert von 40 völlig  irrational ist, selbst bei 50 und darüber treten keine echten, also  gemeint: irgendwie messbaren Probleme auf. Liebe Medien, ich baue  einfach eine kleine Toleranz nach oben ein, damit die CDU in Hessen  nicht völlig abschmiert und ich meine von euch, lieber Heribert Prantl,  so geschätzte Politik weiter exekutieren kann.

Sie spricht also  noch nicht einmal die offenkundige Wahrheit aus, dass es überhaupt  keinen so genannten Dieselskandal gäbe, wenn der Grenzwert für Straßen  dort liegen würde, wo der Richtwert für Büros liegt, ganz zu schweigen  von dem Grenzwert 950 Mikrogramm für gewerbliche Jobs. Sie plädiert in  ihrer Not nur für ein klitzekleines Stück Rationalität. Und genau dafür  schlägt ihr Heribert Prantl ins Gesicht: „Gemeingefährliche Vergiftung“.

Nun  erklärt sich diese Reaktion sicherlich auch mit der  naturwissenschaftlichen Ignoranz beziehungsweise dem grünen  Obskurantismus vieler Medien. Es sind schließlich die gleichen Medien,  die Berichte über den CO2-Ausstoß regelmäßig mit Fotos von  Kraftwerkskühltürmen illustrieren, die allerdings Wasserdampf statt CO2  ausblasen – was allerdings optisch eindrucksvoller aussieht. Es sind die  gleichen Journalisten, die auf den Umstand, dass in der so genannten  Dunkelflaute zum Jahresanfang die erneuerbaren Energien weniger als zwei  Prozent des deutschen Strombedarfs decken, schlau antworten: dann  müssten eben mehr Windräder aufgestellt werden.
Aber Merkels  Kalkulation, sie könnte in der Not und mit Hinweis aufs übergeordnete  Ganze eine ganz kleine Kurskorrektur vornehmen, ohne einen Liebesentzug  durch ihre Begleitmedien zu erleiden – diese Kalkulation geht schon aus  dem Grund schief, weil an einem Punkt dann eben doch die Interessen  beider Seiten auseinanderlaufen. Die CDU-Chefin hatte immer gehofft,  grüne Themen übernehmen zu können, aber in einer Weise, dass es für ihre  Partei noch irgendwie reicht. Zu ihrer großen Überraschung profitieren  von einer Vergrünung der CDU nur die Grünen. In der letzten Wahlumfrage  zu Hessen liegt eine Koalition von Grünen, SPD und Linkspartei trotz des  moribunden Zustands der SPD bei 50 Prozent.  Die CDU könnte in die Opposition geschickt werden. Aus Sicht von  Heribert Prantl stellt das kein Problem dar, während Merkel selbst den  treuesten der Treuen ihrer Partei nicht mehr weismachen kann, das alles  sei eine raffinierte Strategie zum Nutzen der Union, die eben viele nur  nicht verstünden.
Die Frage ist, wie sich am nächsten Sonntag  hunderttausende Dieselbesitzer in Hessen entscheiden, die wissen, dass  die mittlere Stickstoffoxidbelastung in Frankfurt bei knapp über 50  Mikrogramm pro Kubikmeter liegt, also noch unter dem Richtwert für  Büros, und denen klar ist, dass nicht ihr noch relativ neuer Diesel das  Problem ist, sondern ein absurder EU-Grenzwert. Kreuzen sie bei der  Partei der Kanzlerin an in der Hoffnung, sie, die sie bisher die  Autofahrer im Stich gelassen hatte, könnte ihnen nun mit ein bisschen  Herumgeschraube am Grenzwert helfen? Noch gibt es das  Merkel-Rettungsgesetz ja nicht.
Oder wählen sie taktisch, aber eben nicht so, wie in der CDU-Zentrale erhofft?
Die Wähler entscheiden selbst, ob demnächst strenge Grenzwerte für Merkelismus in Deutschland gelten.


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